Die Gretel gestaltet den Geburtstag ihrer Namensgeberin seit Jahren aufwändig. Gretel Bergmann, alias Magret Lambert, gestorben 2017 im Alter von 103 Jahren, ist qua ihrer Biografie vorbildlich für das schulische Selbstverständnis. An der Gretel gibt es deshalb keinen Raum für Diskriminierung oder Rassismus. Demokratie, Vielfalt, Respekt und Toleranz sind stattdessen die Leitmotive des Schulalltags und Schullebens.
Der große Erfolg des „Diversity Day“ vor einem Jahr verlangte eine Fortsetzung, das war dem Organisationsteam schnell klar. Gestern (Freitag, 12.4.24) folgte die zweite Ausgabe. Für die Jahrgänge 9 bis 12 hieß das Motto nun: Bewusst für Diversität und gegen Diskriminierung. Dazu wurden den Schülerinnen und Schülern zuvor 23 Workshop-Angebote gemacht, aus denen sie ganz nach Interesse ihren Wunsch-Workshop auswählen konnten.
Beeindruckendes Workshop-Portfolio
Die Workshops wurden überwiegend von Referentinnen und Referenten externer Fachinstitutionen geleitet. Natürlich boten aber auch Kolleginnen und Kollegen Veranstaltungen an, ja sogar eine Schülerin (Shweta, 12b). Die Bandbreite der Themen war erstaunlich: hochaktueller Antisemitismus, Anti-Schwarzer Rassismus, zweifelhafter Schönheitsidealismus, Gender Pay Gap, Bodyismus oder Lookismus.
Das Einbringen eigener Erfahrungen war erwünscht, ebenso der Austausch und die Lust zu Aktivität und Kreativität, zum Beispiel durch Erstellung von Plakaten in den Gruppenphasen. Einige Workshopthemen erforderten eine besondere Behutsamkeit. So arbeiteten Schüler mit ihren Coaches in so genannten Safer Spaces. Diese „sicheren Räume“ schützen alle Beteiligten. Nichts, was drinnen gesagt wird, dringt nach außen.
Andere Themenangebote an diesem außergewöhnlichen Schultag waren mit Bewegung und „Arbeit“ verbunden. In den Schulwerkstätten wurde handfest produziert. So entstanden an diesem Tag dutzende Schlüsselanhänger aus Metall, Filz oder Holz, Lesezeichen und vieles mehr. Die Produkte aus schulischer Manufaktur stehen dann im Juni auf dem Fleetplatzfest zum Verkauf. Die Erlöse gehen via Gretel hilft! an noch auszusuchende Spendenempfänger.
In der Sporthalle der Großen Gretel ging es natürlich sportlich zu. Wie blind war das denn, denkt sich manch Couchfußballer, wenn das Tor trotz aussichtsreicher Position nicht getroffen wird. Wolf, sehender Trainer in der erfolgreichen Blindenfußballabteilung des FC St. Pauli, betrachtet das aus anderer Perspektive und möchte auch Sehende für diese Blindensportart sensibilisieren und animieren. Die Schülerinnen und Schüler, die mit ihm und den tatsächlich blinden St. Pauli-Spielerinnen und Spielern sichtloses Laufen und Spielen üben durften, waren jedenfalls schlichtweg beeindruckt und begeistert.
Handlungsorientiert erfahren und lernen
Vor allem Schülerinnen besuchten den Workshop „Spieglein… an der Wand“. Luise Demirdes arbeitet für die Gesellschaft gegen Gewichtsdiskriminierung und reiste extra aus Berlin an. Ihr ist es wichtig, dass junge Menschen verstehen, wie Gesellschaften Schönheitsideale generieren, dass diese temporär und abhängig sind von ökonomischen, (macht-) politischen, kulturell-religiösen oder auch geografischen Faktoren. Das sieht Dr. Nina Kullrich von der Werkstatt für internationale Kultur und Politik in Altona genauso.
Kullrich leitete den Workshop „Bodyismus und Lookismus“, was Abwertung und Diskriminierung oder die Stereotypisierung der äußeren Erscheinung, des Aussehens und der Körperlichkeit meint. Wissenschaftliche Forschungszweige. Den beteiligten Schülerinnen und Schülern war nach kurzer, praktischer Vorarbeit schnell klar, in welchen Drucksituationen sich viele, vor allem junge Menschen befinden und welches Gewicht dabei auch „Stars“ oder die sozialen Medien haben.
Für Laura aus der 12b ist klar, dass Frauen deutlich mehr als Männer dem Einfluss von Schönheitsidealen einerseits und Diskriminierung andererseits ausgesetzt sind. Für Medina aus der 9a ist das kritische Hinterfragen von vermeintlichen Idealen wichtig. „Schönheit kommt, Schönheit geht“, sagt sie. Mit Blick auf Luise Demirden, ihrer Workshopleiterin, fügt sie an: „Mit einem guten Charakter bist du automatisch schön.“
Soziales Engagement
Handlungsorientierte Partizipation stand auf der Agenda des Workshops, der von Alexandra Quast und Moritz Plebs vom Stadtteilbüro Neuallermöhe (Lawaetz-Stiftung) mir Schülerinnen und Schülern durchgeführt wurde. Ihr Stadtteil Neuallermöhe stand virtuell zur stadtplanerischen Disposition. Wie kann der Stadtteil aus Sicht der Jugendlichen am besten gestaltet werden. Dazu sammelten die Kids Vorschläge und kreierten IHR Quartier in Arbeitsgruppen.
Aktivitätsorientiert waren auch die Aktionen der unteren Jahrgänge, die wir nicht vergessen wollen. Soziales Engagement ist ein wichtiger Aspekt des schulischen Leitbildes. So beschäftigten sich die Schüler aus den Jahrgängen 5 bis 8 vormittags vorwiegend mit gesellschaftlich wichtigen und nützlichen Aufgaben. Unter dem Motto „Gretel räumt auf“ zogen viele Klassen durch die schulische Nachbarschaft und sammelten Müll von Wiesen, aus den Knicks und von den Spielplätzen, pflegten den Garten der „Ackerdemie“ oder legten spezielle Bienenwiesen an - logisch als “Blütenbotschafter-Schule”. Auch Stolpersteine am Grindel wurden von einer Klasse aufpoliert.
Bewegung war übrigens durchgängiges Prinzip des Thementages rund um Vielfalt und soziales Engagement. Sowohl in der Kleinen als auch in der Großen Gretel konnten unzählige Dreierteams im Rollstuhlbasketball gegeneinander antreten und Punkte machen. Diese wurden übrigens gezählt und werden in Spendengeld für “Schulen gegen Hunger” verwandelt. Die Gretel ist eine der teilnehmenden Schulen. Gretel hilft!-Initiator Martin Raetz, seine Sportkolleg: innen sowie die Jungs und Mädchen aus der 13c machten die spielerische Sensibilisierung für diese inklusive Sportart Rollstuhlbasketball möglich.
Fazit des Thementages
Um halb zwei war Gretels Geburtstag 2.0 dann vorbei. Aufräumarbeiten. Nachgespräche unter Schülern und Kollegen und Referenten. Sema aus der 11b bedankte sich ausdrücklich bei Amma Nwosu. Diese habe viele interessante Workshops für die Schülerinnen und Schüler gestaltet. Der Lerneffekt sei groß. Sie selbst hätte heute viel Neues über die Geschichte des Feminismus erfahren.
Amma Nwosu, Interkulturelle Koordinatorin an der Gretel, ist stolz auf den neuerlichen Erfolg dieses intensiven Thementages für die höheren Jahrgänge. Gleichstellung, Gleichberechtigung, der Diversity-Gedanke, Inklusion, Empowerment und das Aufstehen gegen Rassismus, Diskriminierung und Ausgrenzung wird immanenter Teil des „System Schule“, resümiert sie. Das wird auch von Menschen außerhalb dieses Systems erkannt: „Ist schon cool, was diese Schule auf die Beine stellt, das ist nicht selbstverständlich. Das Gesagte wird hier wirklich gelebt“, fassen Alissa und Mira, Teamerinnen vom IKM (Institut für Konstruktive Konfliktaustragung und Mediation), die den Workshop „Lebensrealität Rassismus“ leiteten, ihre Eindrücke von der Gretel-Bergmann-Schule zusammen.
Finanzierung des Thementages
Natürlich – und das erwähnen wir hier ausdrücklich – ist diese Investition in Planung und externe Fachleute nicht allein zu stemmen. Neben Nwosu übernahmen Schulleiterin Anja Oettinger sowie Verwaltungsleiterin Carola Hartung vielfältige Organisationsarbeiten im ganzen Prozessablauf. Dazu kommen Mittel vom GEW Landesverband Hamburg, der sich insbesondere gegen Diskriminierung einsetzt sowie von der Sozialbehörde Hamburg. Ohne diese Co-Finanzierung ist einen Diversity Day Reloaded dieser Qualität und Güte nicht möglich. Der Schulverein der Gretel realisiert dabei Anträge, Abrechnung und Transfers. Ohne ihn geht nichts. An alle deshalb ganz herzlichen Dank an dieser Stelle!
Finanzierungsanschub und Mittelunterstützung gab es im Übrigen auch für die vielen Projekte, die in den unteren Jahrgängen zeitgleich am Freitag abliefen. Soziales Engagement war das übergeordnete Motto. Hier organisierte hauptsächlich Kunstkollegin Christine Liberra Ablauf und Inhalte. Sie ist auf Beauftragte für „Soziales Engagement“, das die Gretel seit Jahren ihren Schülerinnen und Schüler überfachlich vermittelt. Für die Mittel, die in diesem Bereich dafür sorgten, dass die Kleinen Gretelianer gut ausgerüstet beste Lerneffekte erhielten, stehen die Unternehmen Sparda Bank, Haspa sowie die Buhck-Stiftung. Der Verein Hamburg blüht sachspendete ebenfalls. Auch hier an alle ein Riesendankeschön!